Osnabrücker Modehaus L&T engagiert sich für Erinnerungskultur

Verantwortung aus Unternehmensgeschichte übernehmen und leben

Das Osnabrücker Modehaus Lengermann und Trieschmann (L&T) stellt sich zukünftig noch mehr seiner Vergangenheit und lebt die daraus entstandene Verantwortung. L&T entstand 1935 aus einem Kaufhaus jüdischer Inhaber. Das Unternehmen übergibt alle Unterlagen aus dieser Zeit zur öffentlichen Einsicht an das Niedersächsische Landesarchiv und führt „Zweitzeugen“-Workshops zur Erinnerung an Verfolgte in der NS-Zeit durch.

„Wir möchten unserer Verantwortung im Heute mehr gerecht werden, vor allem aufgrund unserer Geschichte, aber auch mit Blick auf aktuelle Entwicklungen in unserer Gesellschaft“, beschreibt Mark Rauschen, Geschäftsführer und Urenkel von Alfred Trieschmann, einem der Gründer von L&T, die Intention des Vorhabens. Das Modehaus ging 1935 aus dem Kaufhaus Alsberg & Co. hervor – nach Boykotten und einem „Arisierungsprozess“ durch die NSDAP. „Auch wenn Alfred Trieschmann und Friedrich Lengermann Wirtschaftsprofiteure und nicht Akteure waren und Restitutionszahlungen leisteten, wiegt dies nicht das geschehene Unrecht auf“, so Rauschen. 2010 stieß der Nachfahre ein erstes Umdenken an: Eine historische Untersuchung zu den damaligen Vorgängen wurde beauftragt, eine Erinnerungstafel im Erdgeschoss eingeweiht und Projekte für ein friedliches Zusammenleben von Juden und Christen regelmäßig unterstützt.

Doch selten wurde über die Vergangenheit gesprochen. Das soll sich nun ändern: Das Team Mark Rauschen, André Gizinski und Vivien Moor (L&T Unternehmensentwicklung) und die externe Beraterin Lisa Simon erarbeiteten einen Maßnahmenplan rund um die Erinnerungskultur. Nun werden die Unterlagen aus der NS-Zeit veröffentlicht sowie das historische Gutachten mit dem Geschichtsbüro Reder, Roeseling, Prüfer aus Köln aktualisiert. „Wir möchten mit der Unternehmensgeschichte offen umgehen. Deswegen informieren wir inzwischen auf unserer Internetseite darüber und machen in wenigen Wochen alle Unterlagen aus dieser Zeit im Landesarchiv öffentlich zugänglich“, so Rauschen.

Erinnern: „Zweitzeugen“-Workshop für Mitarbeitende

Darüber hinaus engagiert sich das Unternehmen mit Partnern gegen das Vergessen des Holocausts sowie gegen Antisemitismus und Diskriminierung in jeglicher Form und unterstützt diese Initiativen. Den Anfang macht im Juli ein Workshop für Mitarbeitende mit dem Verein Zweitzeugen e.V. aus Essen, der in Osnabrück seinen Ursprung hat. Der Verein bildet junge Menschen und Erwachsene zu „zweiten Zeugen“ aus, damit die Erinnerung an den Holocaust nicht verblasst. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen anhand einer persönlichen Lebensgeschichte, was es damals hieß, verfolgt zu werden. „Wir möchten sie mit dem neuen Wissen und dem Erlebten ermutigen, sich gegen Antisemitismus und Diskriminierung stark zu machen. Die persönlichen Lebensgeschichten helfen jungen Menschen Geschichte zu begreifen“, berichtet Katharina Müller-Spirawski, Gründungsmitglied des Vereins. Über 30.000 Kinder hat der Verein mit 21 Mitarbeitenden und 101 Ehrenamtlichen seit der Gründung 2014 ausgebildet. „Wir freuen uns sehr, wenn Unternehmen wie L&T auf uns zu kommen, unsere Arbeit unterstützen und dabei helfen, eine tolerante Gesellschaft zu bilden, die so etwas wie den Holocaust nie wieder zulässt.“ Im Rahmen des Workshops schreiben die Teilnehmenden auch persönliche Worte an Überlebende des Holocausts und ihre Nachfahren.

Langfristiges Engagement mit weiteren Projekten

L&T plant in den kommenden Jahren weitere Projekte und Veranstaltungen mit der regionalen Initiative Judentum Begreifen e.V. und den Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht e.V.. Auch ein Workshop mit der Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft steht im Herbst an. „L&T ist es sehr wichtig, dass die Erinnerungskultur fest im Unternehmen verankert ist. Gleichzeitig ist der Wunsch für die Zukunft auch anderen Gruppen wie Schulklassen derartige Bildungsangebote zugänglich zu machen“, so Lisa Simon, die das Engagement mit dem Blick von außen begleitet. Ein weiteres großes Projekt: Die Veröffentlichung der Memoiren „But for a moment“ von Ronny Stern, Nachfahre von Ludwig Stern, einem der jüdischen Gründer des Kaufhauses Alsberg & Co. Mit ihm ist Mark Rauschen seit vielen Jahren in regelmäßigem Kontakt. Die Gräueltaten im Holocaust werden inzwischen manchmal verharmlost oder geleugnet – mit dem Engagement wolle er einen Teil dazu beitragen, dass nicht vergessen wird und ein „nie wieder“ gültig bleibt, so Rauschen.

Geschichte von L&T

Das Kaufhaus Alsberg & Co wurde 1910 von den Kaufleuten jüdischen Glaubens Max Katz, Ludwig Stern und Gustav Falk gegründet. Nach umfangreichen, teilweise gewalttätigen Boykott-Aktionen durch die NSDAP waren sie 1935 gezwungen zu verkaufen. Derartige Boykotte fanden deutschlandweit bei allen Kaufhäusern und Unternehmen in jüdischer Hand statt. Die Kaufleute Alfred Trieschmann aus Essen und Friedrich Lengermann, geboren in Osnabrück, tätig in Mühlheim an der Ruhr, erwarben das Kaufhaus und die Grundstücke zu einem günstigen Preis und führten es als L&T weiter. Bei einem Bombenangriff 1942 wurde das Gebäude komplett zerstört und Anfang der 1950er neu aufgebaut. Nach dem Krieg zahlten die Kaufleute Lengermann und Trieschmann Restitutionszahlungen in einer damals üblichen Höhe an die früheren Grundstückseigner und eine im Vergleich zu anderen Restitutionsverfahren relativ hohe Summe an die früheren Kaufhausbesitzer.

Über Zweitzeugen e.V.

Der Verein wurde 2014 als HEIMATSUCHER e.V. gegründet und 2020 in Zweitzeugen umbenannt. Er ermutigt und befähigt mit seinen Workshops junge Menschen sich als Zweitzeug:innen aktiv gegen Antisemitismus und andere Diskriminierungsformen im Heute einzusetzen. In den Workshops und Ausstellungen lernen die Teilnehmenden mit Herz, Kopf und Hand. Durch individuelle Lebensgeschichten bekommen die Teilnehmenden einen niedrigschwelligen, persönlichen Zugang zur Geschichte. Sie eignen sich Wissen über die NS-Zeit an und verknüpfen das Gelernte mit der Gegenwart und ihrer eigenen Lebenswelt. Sie werden ermutigt und befähigt, sich als Zweitzeugen selbst gegen Antisemitismus und Diskriminierungsformen einzusetzen.

2023 erreichte der Verein 8.509 Kinder und Jugendliche durch Workshops, Bildungsprojekte und der Ausstellung an drei verschiedenen Orten (insgesamt 30.649). Der Verein finanziert sich unter anderem aus Stiftungsgeldern, öffentlichen Mitteln, Spenden oder Mitgliedschaften.

www.zweitzeugen.de

Kontakt:

L&T Lengermann & Trieschmann GmbH & Co. KG

André Gizinski

TEL     +49 541 – 33 11 3 359

MAIL   [email protected]

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